Alles über Titan
bike sport news 09/97
Titan wurde 1795 von einem
Herrn Klapproth in einem Erz namens Rutil entdeckt. Er benannte das
neugefundene Mineral nach den Titanen, den riesenhaften Söhnen der
Urmutter Erde aus der griechischen Mythologie. Industriell wird Titan
jedoch erst seit etwa 60 Jahren erzeugt, genutzt seit ungefähr 40 Jahren,
denn die Gewinnung ist sehr schwierig und der Energieaufwand dafür sehr
hoch. Aus den Erzen Rutil (TiO2) und Ilmenit (FeTiO3) wird durch
Chlorieren Titanchlorid gewonnen, dies unter Magnesiumzusatz zu
,,Titanschwamm" reduziert. Dieser wird durch Schmelzen im Lichtbogen
zum echten Titan. Das Problem dabei ist, daß Titan kleinatomige Elemente
wie Sauerstoff, Stickstoff oder Kohlenstoff sehr schnell ins eigene
Atomgitter einbindet und dann sehr, sehr (noch mehr) spröde wird und so
eigentlich unbrauchbar ist. Durch extrem aufwendige Prozeduren wird die
,,Einlagerung" fremder Atome bei der Produktion weitgehend vermieden,
aber auch Titanoberflächen in erkaltetem Zustand überziehen sich sofort
mit einer superwiderstandsfähigen Titanoxidschicht – deshalb auch die
tolle Korrosionsbeständigkeit des Titans (eigentlich dessen
undurchdringliche Oxidschicht).
Erst die Legierungen sind
brauchbar
Durch Legieren mit verschiedenen Metallen können die widersprüchlichen
Eigenschaften wie Duktilität (Zähigkeit) und Festigkeit kombiniert
werden – dann erst wird Titan nämlich zum Zauberwerkstoff. Die
gängigsten Legierungen im Fahrradbau sind das TiAI3V2.5 (94,5% Titan, 3%
Alu, 2,5% Vanadium) undTiAI6V4 (90% Titan, 6% Alu, 4% Vanadium). Das
E-Modul von Titan ( und dessen Legierungen) ist nur etwa halb so hoch wie
bei Stahl. Im Klartext: Ein Titanrohr biegt sich bei gleicher
Krafteinwirkung doppelt so stark wie ein gleichdimensioniertes Stahlrohr.
Titanrahmen verlangen zwecks Stabilität deshalb nach großen
Rohrdurchmessern. Bei Rahmen werden daher auch mehr oder weniger große
Rohrdurchmesser verwendet, um die Verwindung in Grenzen zu halten. Da aber
einige Teile wie etwa das Steuerrohr einen definierten Durchmesser haben
müssen (meist 1.125``) und der Materialeinsatz wegen Gewichtsersparnis
nicht zu hoch werden soll, erklären sich daraus die zum Teil flexiblen
Steuerkopfbereiche an Titanrahmen. Ein weiterer Pluspunkt, den Titan
beispielsweise gegenüber Aluminium hat, ist die sehr gute
Dauerschwingfestigkeit-gute Verarbeitung vorausgesetzt. Bei polierten
Oberflächen ist die Dauerfestigkeit sogar noch einmal doppelt so hoch -
also immer schön putzen! Das Fehlen von Kratzern oder Riefen läßt die
Bildung von Microrissen und deren Ausbildung erst gar nicht zu - das für
alle Metalle. Auch Kugelstrahlen erhöht wegen einer verdichteten
Oberflächenstruktur die Dauerfestigkeit.
Schweißtechnik bei Titan
Grundsätzlich wären Titanrohre ideal für einen Fahrradrahmen: leicht,
korrosionsbeständig, dauerschwingfest und zäh-elastisch.
Hauptsächliches Problem ist das Schweißen von Titan. Bei Temperaturen
über 550°C binden sich vor allem aggressive Sauerstoffatome in das
Metallgitter und verspröden so die Schweißnaht. Umströmen mit
reaktionsträgen Edelgasen wie Helium oder besser Argon verhindert dies.
Als Methode bietet sich bei Titan das sogenannte WIG (Wolfram - Invert -
Gas)- Schweißen an. Als Energiequelle wird Gleichstrom bevorzugt, weil
der Lichtbogen und damit auch die Naht logischerweise gleichmäßiger ist.
Helium als ,,Schutzgas" ist billiger, ermöglicht eine recht hohe
Schweißgeschwindigkeit und erfordert eine geringe Stromstärke- ideal
für automatisiertes Schweißen. Argon erzeugt einen stabileren
Schutzmantel und hält den Lichtbogen gleichmäßiger- für
Handschweißung also besser geeignet. In jedem Fall sollte der
Schutzgasmantel laminar, das heißt gleichmäßig und turbulenzfrei, die
Schweißzone umströmen, und zwar so lange, bis die Stelle auf unter 500°
C abgekühlt ist und für aggressive Sauerstoffatome uninteressant ist.
Dummerweise kann rein äußerlich eine schlechte (versprödete) Naht kaum
oder nicht von einer guten unterschieden werden- ein seriöser Hersteller
ist da noch der beste Trost. Ein Titanschweißspezialist muß daher exakt
und ruckfrei, mit konstanter Geschwindigkeit, in gleichmäßigem Abstand
und vor allem unterbrechungsfrei an einer Naht arbeiten - gar nicht so
leicht also!
Probleme bei der
Weiterverarbeitung
Titan spanabhebend verarbeiten - drehen, fräsen, sägen usw.- ist
außerordentlich schwer. Wegen seiner relativ schlechten
Wärmeleitfähigkeit wird die entstehende Hitze beim Bearbeiten schlecht
abgeführt. Erschwerend kommt hinzu, daß Titan aufgrund seiner Zähigkeit
die Werkzeuge regelrecht zuschmiert- zum Beispiel beim Gewindeschneiden.
Dabei darf der Span nie abreißen, damit der Gewindegang sauber bleibt. Im
Klartext: Ein Ttanwerkstück in der Drehbank muß langsam, mit großer
Schnittiefe und sehr viel Kühlmittel bearbeitet werden. Die erhöhte
Eindringtiefe führt dabei aber oft zu unerwünschten Vibrationen in der
Maschine, weshalb nur massive (und teure) Exemplare den gewünschten
Erfolg bringen. Auch die Standzeit der Werkzeuge beträgt im Vergleich zur
Stahlbearbeitung nur ca.50-70%. All das macht die Parts aus
,,Traumwerkstoff" natürlich sehr teuer.
Verwendung im Fahrradbau
Gute Schweißnähte vorausgesetzt kann vor allem die Legierung TiAI3V2.5
ein hervorragender Rahmenwerkstoff sein. Für Ausfallenden, Bremssockel,
Tretlagergehäuse (oder Steuerrohr) und sämtliche ,,Kleinteile" ist
das festere TiAI6V4 die bessere Wahl. Ebenso können fast alle
Fahrradanbauteile aus Titan gefertigt werden, wenn es auf geringes Gewicht
oder gute Dämpfungseigenschaften ankommt, ohne dabei auf die
Dimensionierung achten zu müssen. Da aber viele Teile standarisierte
Maße haben, ist zum Beispiel bei der Innenlagerwelle mit ihrer
,,kleinen" Vierkantkurbelaufnahme Skepsis angebracht. Die relativ
hohe Durchbiegung belastet nicht nur die Lager (fast ausnahmslos
sogenannte Industrielager) übermäßig und führt zu schnellerem
Verschleiß derselben, auch die Gefahr von Achsbrüchen im Bereich der
Gewindegänge innerhalb des Vierkants ist etwas höher als bei
Stahlachsen. Um die Stabilität von Lenkern, Stützen etc. zu
gewährleisten, muß die Wandstärke oftmals so weit erhöht werden, da
ist zumindest der Gewichtsvorteil schnell dahin. Bei Schrauben ist vor
allem auf eine extrem saubere Fertigung zu achten - am besten mit
gerolltem Gewinde und in ,,Dehnschraubenausführung".
Titanschraubenfedern für Federgabeln (zum Beispiel bei Manitou) und
Hinterbaufederelementen (bei IBS erhältlich) haben sich bereits im
Motorrennsport bestens bewährt und helfen Gewicht zu sparen. Ritzel und
Kettenblätter sind aufgrund erhöhter Reibung (und damit Verschleiß) nur
zu empfehlen, wenn sie speziell beschichtet sind (z.B.:
Tune-Titankettenblätter).
Bei sorgfältiger
Verarbeitung kann mit Titanteilen viel Gewicht eingespart werden, ohne an
Sicherheit einzubüßen. Oftmals wird durch die gute Vibrationsabsorption
auch der Fahrkomfort verbessert (Sattelgestell, Vorbau und Lenker,
Sattelstützen). Auch für Downhill-Lenker (Magura, White Brothers) ist
das sehr dauerschwingfeste Metall ein ,,beruhigender" Weggefährte.
Fazit:
Titan verlangt nach einer aufwendigen und sorgfältigen Verarbeitung und
einer durchdachten Dimensionierung, um seinem Anspruch als Edelwerkstoff
gerecht zu werden. Werden diese Punkte beachtet und spielt auch noch der
Preis eine untergeordnete Rolle, sind Rahmen und Parts aus Titan eine
Anschaffung fürs Leben-und die Sinne.
Bei Schrauben und stark
belasteten Parts ist vor allem auf eine saubere Fertigung zu achten.
Titanritzel (hier von Tune) und Kettenblätter sollten eine spezielle
Beschichtung erhalten, damit der Reibungswiderstand und damit der
Verschleiß nicht zu hoch werden. Im Rennsport haben sich auch
Schraubenfedern aus Titan gut bewährt. IBS bietet in Zusammenarbeit mit
Hans Scherf von Shock Therapy für fast alle Hinterbaudämpfer geeignete
Modelle an-Gewichtsersparnis bis über 100 Gramm!
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